Sie haben sich in einer Laube im Zentrum des Botanischen Gartens der JGU getroffen. "Hier ist es allemal schöner und inspirierender als in meinem Büro", meint Prof. Dr. Daniel Schunk. Dr. Alexander Schmidt-Gernig ist der Einladung ins Grüne gern gefolgt. In den 1980er-Jahren absolvierte er sein Grundstudium in Mainz, bevor er nach Berlin ging. "Es lebte sich damals sehr angenehm auf dem Campus", erinnert sich der Leiter des Referats Nachhaltigkeit und Gesundheitskompetenz im Bundesministerium für Gesundheit. "Nun freue ich mich, wieder einmal hier zu sein."
Schmidt-Gernig ist neugierig auf die Arbeit Schunks, der an der JGU im Bereich Public and Behavioral Economics forscht: Im Zuge einer Reihe von groß angelegten bildungsökonomischen Studien entwickelt der Volkswirtschaftler Lerneinheiten für Kinder an Grundschulen. Er möchte wissen, inwieweit sich fächerübergreifende Kompetenzen trainieren lassen. "Die Ergebnisse unserer neuesten Studie zeigen, dass sich die Selbstregulation der Schülerinnen und Schüler nach unserer Intervention signifikant und nachhaltig verbessert hat. Das ist nicht nur für den Erfolg in der Schule wichtig, sondern auch in der späteren Karriere – und nicht zuletzt leben solche Kinder gesünder."
Gesundheit ist Schmidt-Gernigs großes Thema: "Corona hat schlaglichtartig beleuchtet, wo es noch Defizite gibt. Ein Beispiel ist die Gesundheitskompetenz. Mit dem Einsetzen der Pandemie ist sie kurzfristig gestiegen, aber generell haben wir immer noch ein Problem damit: Wie beurteile ich Informationen zur Gesundheit? Und wie komme ich von diesen Informationen zum Handeln? Adipositas etwa ist ein zunehmendes Problem in unserer Gesellschaft, leider auch schon bei Kindern und Jugendlichen. Hier werden die Weichen gestellt für Beschwerden, die unserer Gesellschaft zu schaffen machen und die insgesamt eine größere Rolle spielen als Infektionskrankheiten: Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Wir müssen also die Gesundheitskompetenz stärken, und das so früh wie möglich, also besonders bei Kindern und Jugendlichen."
157 Fellows, 2.000 persönliche Treffen
Das Gespräch in der Laube ist eines von Dutzenden: Im Zuge des Mercator Science-Policy Fellowship-Programms tauschen sich Führungskräfte von Ministerien, Behörden und EU-Institutionen, Nonprofit-Organisationen und Medien mit Forscherinnen und Forschern aus. 2016 wurde das durch die Stiftung Mercator geförderte Programm von der strategischen Allianz der Rhein-Main-Universitäten ins Leben gerufen. Neben der Frankfurter Goethe-Universität, der TU Darmstadt und der JGU sind noch zahlreiche weitere wissenschaftliche Einrichtungen beteiligt, die das Angebot der RMU in besonders nachgefragten Themenbereichen ergänzen.
"Mit diesem Angebot sind wir tatsächlich einmalig", freut sich Tome Sandevski, der Geschäftsführer des Programms. "So etwas gibt es sonst nirgends in Deutschland." Dabei ist die Idee naheliegend und im Grunde einfach: Die Fellows suchen sich aus einem Pool jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus, die sie besonders interessieren. "Im Mittelpunkt steht der persönliche Kontakt. An zwei Tagen organisieren wir insgesamt acht einstündige Treffen, und das zwei Mal im Jahr. Als ich unser Programm in Berlin und Brüssel vorgestellt habe, fragten die Leute erstaunt: 'Das ist schon alles? Kann ich Forschende denn nicht einfach anrufen?'" Sandevski reagierte mit einer Gegenfrage: "Haben Sie das denn schon mal gemacht?" Die Antwort war dann immer "Nein".
Seit Bestehen des Mercator Science-Policy Fellowship-Programms führten 157 Fellows mehr als 1.900 Gespräche mit 620 Forschenden. "Mit den aktuellen Treffen werden wir die 2.000er-Marke erreichen", meint Sandevski. "Die Stiftung Mercator will das Programm definitiv bis 2026 unterstützen. Bis dahin wollen wir weiterwachsen, denn der Bedarf ist auf allen Seiten groß. Wir werden einen Pool von 250 bis 300 Fellows schaffen."
Direkter Draht zur Wissenschaft
Prof. Dr. Petra Ahrweiler vom TISSS Lab des Instituts für Soziologie der JGU entwickelt Computersimulationen zur Prognose gesellschaftlicher und sozialer Entwicklungen. Solche Simulationen sind mehr und mehr als Werkzeug für politische Entscheidungen gefragt. Ahrweiler beriet bereits mehrfach die Europäische Union. "Mit Carl Gösta Petri konnte ich ein Mitglied der Europäischen Kommission treffen", erzählt sie. Petri ist stellvertretender Referatsleiter für E-Justiz, IT und Dokumentenverwaltung in der Generaldirektion Justiz und Verbraucher. "Er interessierte sich sehr konkret für eines meiner aktuellen Projekte, in dem es um den Einsatz Künstlicher Intelligenz bei der Verteilung von Sozialdienstleistungen durch den Staat geht."
Die beiden konnten nicht vor Ort sprechen, fanden aber auf digitalen Kanälen zueinander – was in diesem Fall recht gut passte: "Wir beide kennen uns mit dem Thema Digitalisierung gut aus", meint die Professorin für Technik- und Innovationssoziologie/Simulationsmethoden. "Herr Petri stellte viele Fragen zum Projekt. Wir konnten sehr ins Detail gehen."
Für Ahrweiler gehört wissenschaftliche Politikberatung zum Alltag. "Unsere Simulationen entstehen im Co-Design mit unseren Auftraggebern." Sie nimmt bereits länger am Mercator Science-Policy Fellowship-Programm teil. "Aus den Treffen ergeben sich immer wieder weiterführende Kontakte. So wurde ich zum Beispiel von einem Vertreter des Finanzministeriums für einen Vortrag nach Berlin eingeladen. Ich glaube, für die Fellows ist das Mercator-Programm eine gute Gelegenheit, einen direkten Draht zur Wissenschaft zu bekommen. Das funktioniert allerdings nur dann, wenn die Wissenschaft wirklich etwas zu sagen hat, das die Praxis angeht – und dann wiederum bringt der persönliche Kontakt am meisten."
Netzwerk und Inspiration
Im Gespräch mit Schunk schlägt Schmidt-Gernig ähnliche Töne an: "Die Wissenschaft bringt oft sehr interessante Erkenntnisse. In der Politik stellt sich uns jedoch die Frage: Wie bringen wir diese Erkenntnisse unter die Leute?" Politisches Handeln müsse heute wissenschaftlich begründet sein. "Die Übersetzung von der Wissenschaft in die Politik ist allerdings nicht immer einfach." Schunk meint dazu: "Die Anforderungen der Politik haben konkrete Effekte auf die Art, wie wir Forschung beschreiben. In einigen unserer Papiere steht nicht nur ganz konkret drin, welche Wirkung unsere Trainingseinheiten auf die Kinder haben. Wir führen auch an, dass die Intervention günstig skalierbar ist und enden mit einer Kosten-Nutzen-Analyse. So kommen wir noch direkter ins Gespräch mit Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern." Das Ergebnis: Es lohnt sich – auch aus finanzieller gesellschaftlicher Perspektive –, Kindern den Weg zu mehr Selbstregulation zu ebnen.
Eine Stunde ist schnell vergangen. Schmidt-Gernig muss sich verabschieden. Für ihn geht es gleich in den Georg-Forster-Bau zum nächsten Gesprächspartner. Am nächsten Tag wird er Schunk wiedersehen: Dann steht das Symposium "Science meets Policy" an. Hier kooperiert das Mercator Science-Policy Fellowship-Programm mit dem JGU-Forschungsschwerpunkt Interdisciplinary Public Policy (IPP). Tatsächlich nämlich wird mehr geboten als persönliche Kontakte, auch wenn diese im Mittelpunkt stehen: Regelmäßig finden Tagungen, Webinare und Workshops statt.
IPP-Sprecher Schunk begleitet das Programm von Beginn an, er arbeitet im Lenkungsausschuss und blickt auf rund 30 Gespräche zurück. Für ihn ist klar: "Über das Mercator Science-Policy Fellowship-Programm ist ein ausgedehntes Netzwerk zwischen Politik und Wissenschaft entstanden. Es ist eine gute Inspiration für immer neue Projekte." Schmidt-Gernig nickt zustimmend – und schaut auf die Uhr. Nun wird es wirklich Zeit, sein nächster Gesprächspartner wartet bereits auf ihn.