Halbzeit im neuen Joint Degree-Programm
Aus zwei mach eins: Der Masterstudiengang Kinder- und Jugendliteratur-/Buchwissenschaft verbindet zwei Studiengänge der Goethe-Universität Frankfurt und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu einem neuen Studienangebot. Damit setzt er eine Idee der Allianz der Rhein-Main-Universitäten um.
Die erste Frage wirft die Studentin Judith Ast in die Zoom-Runde. Was nützt der tollste Roman der Welt, wenn er nicht unter die Leute gebracht wird? Wenn er nicht verlegt, gestaltet, gedruckt oder als e-book veröffentlicht wird? Wenn er nicht auf einem funktionierenden, womöglich internationalen Buchmarkt angeboten wird? Wenn er nicht, ergänzt ihre Kommilitonin Benita Geis, auf neugierige Leserinnen und Leser trifft, die lesen und vorlesen können oder beim Lesen gefördert werden, ihre Fantasie beim Lesen spielen lassen, die durch Geschichten lernen und dann über das Gelesene sprechen wollen - in Wohn- und Kinderzimmern, Klassenräumen, Lesezirkeln, Kulturhäusern?
Wer die beiden Studentinnen des Masterstudiengangs „Kinder- und Jugendliteratur-/Buchwissenschaft“, Judith Ast und Benita Geis, zu ihrem Fach befragt, lernt im Handumdrehen die vielen Facetten des neuen Kombistudiengangs kennen. Und bekommt nebenbei eventuell vorhandene Vorurteile über ein „So-ein-bisschen-über-Bilderbücher-Reden-Studium“ zurechtgerückt: Im Masterprogramm lernen Studierende, historische und aktuelle Kinder-und Jugendliteratur, Klassiker wie Jim Knopf, Harry Potter und Herr der Diebe, aber auch neuere Adoleszenzromane wie Felix Lobrechts Sonne und Beton, zudem Comics oder game-apps literaturwissenschaftlich zu erforschen. Einerseits. Andererseits deckt das Studium auch die buchwissenschaftlichen Aspekte von Literatur ab. Und es ragt noch in ganz andere Forschungsrichtungen hinein: in Leseforschung, Kultur- und Medienwissenschaften, Komparatistik, Erziehungswissenschaften, Publizistik, um nur einige zu nennen.
Judith Ast hat in Frankfurt ihren Bachelor im Fach Germanistik abgeschlossen, Benita Geis in Mainz Buchwissenschaften im Bachelor studiert. Seit einem Jahr pendeln die beiden in ihrem neuen Studiengang in umgekehrter Richtung zwischen den beiden Universitätsstädten hin und her. „Wer dazu nicht bereit ist, braucht diesen Studiengang nicht erst anzufangen“, erklärt Judith Ast. Aus eins mach zwei: Fürs Unterwegssein gibt es dann aber auch als Zugabe Zugang zu zwei Campi, zwei Bibliotheken, zwei Mensen, zwei Universitätswelten – und einen Freundeskreis in zwei Städten. Auch wenn dieser doppelte Zugang anfangs noch mit bürokratischen Hürden verbunden war.
Dies berichten auch die beiden Dozentinnen und Ideengeberinnen zu dem Joint Degree-Programm, das die Goethe-Universität gemeinsam mit der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz ausrichtet: Prof. Dr. Ute Dettmar vom Institut für Jugendbuchforschung in Frankfurt und Dr. Anke Vogel von der Abteilung Buchwissenschaft in Mainz. Sie bemerken aber auch, dass viele organisatorische Hürden mit Hilfe der universitären Verwaltungen überwunden werden konnten.
Drei Jahr dauerte es, bis aus der Idee der Dozentinnen, die seit längerem kooperiert hatten, 2019 eine fertige Prüfungsordnung zwischen zwei Deckblättern geworden war. „Rückenwind“, erklärt Ute Dettmar, habe das Projekt natürlich bekommen, weil parallel auch die Universitäten Frankfurt, Mainz und Darmstadt eine Zusammenarbeit geplant hatten. Der Verbund der Rhein-Main-Universitäten steht inzwischen - und mit ihm gibt es mehrere gemeinsame Studiengänge.
Rückenwind bekommen hat das zweijährige Masterprogramm aber auch durch seine erste „Kohorte“: zwanzig hochmotivierte Studierende. „Sie haben schnell eine Identität für ihren Studiengang entwickelt“, seien eine eingeschworene Gruppe, freut sich Ute Dettmar. „Links und rechts vom Curriculum zu studieren – da gibt es großes Interesse“, bestätigt Anke Vogel. Im Feedbackgespräch, zu dem die Dozentinnen einige Monate nach dem Start im vergangenen Wintersemester geladen hatten, haben die Studentinnen den Wunsch nach noch mehr Flexibilität bei der wechselseitigen Kursbelegung eingebracht – ein Punkt, „den wir schon nachjustiert haben“, sagt Ute Dettmar, „obwohl es bürokratisch nicht ganz einfach war“.
Feedbackgespräch und Nachjustieren: Allein diese Worte signalisieren, dass der Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden ziemlich reibungslos verläuft. Was sich nun, in der Pandemie, auszahlt. Damit die Bewerberinnen und Bewerber für das Wintersemester 20/21 gleich gut informiert sind, erklärt Ute Dettmar, „haben wir die Orientierungsveranstaltung vorgezogen“ – und die älteren Studierenden gleich mit ins Boot genommen.
Für das Engagement ihrer Studierenden haben die Initiatorinnen allerdings auch etwas getan: Ein Studierfähigkeitstest prüft die Eignung aller Bewerberinnen und Bewerber. Deren Zahl steigt. Für das Wintersemester 20/21 gab es mit 50 Bewerbungen aus allen Teilen der Republik weitaus mehr Interessierte als Plätze. „Mehr als 20 Studierende können wir aber nicht zulassen“, erklärt Anke Vogel, „allein schon in Hinblick auf spätere Arbeitsmöglichkeiten.“ Erste Kontakte aus den Universitäten heraus zu Verlagen, Medienanstalten, Bibliotheken und Theatern, zu Buchhandlungen, Museen, Archiven und Kultureinrichtungen knüpfen die Studierenden in Praktika oder berufsorientierten Projektarbeiten. Mitunter überschreiten (pandemiegemäß formuliert: überschritten) sie dabei Landesgrenzen, treten (bzw. traten) in Kontakt mit internationalen Kooperationspartnern ihrer Dozentinnen und Dozenten. Lehrende wie Studierende hoffen, dass der Praxisbezug nicht nur Sachkenntnisse vermittelt, sondern auch Brücken heraus aus der Universität schlägt. Was zu beweisen ist. Noch ist erst Halbzeit.
Für Judith Ast und Benita Geis steht im zweiten, abschließenden Jahr nun die Masterarbeit an. Vielleicht eine Arbeit zum Thema, wie Jugendliche in der Adoleszenz durch Texte angesprochen werden. Normen und Werte lernen ohne erhobenen Zeigefinger. Vielleicht. Beide Studentinnen haben sich noch nicht festgelegt.
Auch die Dozenten und Dozentinnen betreten im zweiten Jahr Neuland: das erste gemeinsame Examenskolloquium. Noch liegt ein Jahr vor ihnen, doch für die beiden Ideengeberinnen steht jetzt schon fest, „dass sich der bürokratische Aufwand des Masterstudiengangs gelohnt hat.“ Und dass auch noch mehr geht. „Game studies und game apps sind ein sehr gefragter Schwerpunkt“, erklärt Anke Vogel. „Diesen Aspekt können wir durchaus noch ausbauen.“ Auch eine gemeinsame internationale Summer School steht auf der To-do-Liste für eine - nicht ganz nahe - Zukunft. Zunächst aber gilt es, den ersten Jahrgang des Masterstudiengangs gut durch die zweite Halbzeit zu führen – was konkret heißt: durch ein überwiegend digital gestaltetes Semester. Da die digitale Welt für Jugendliche aber immer wichtiger wird, ist der digitale Lerneffekt und die Kreativität, die er verlangt, im neuen Masterstudiengang höchst willkommen. Als eine neue Facette eben.
Ein Beitrag von Pia Barth