Schlüssellochchirurgie eröffnet Blick in die Berufspraxis
Für eine Woche schlüpften 351 Studierende des Maschinenbaus und der Soziologie der TU Darmstadt sowie Studierende der Universitätsmedizin Mainz in die Rolle von Medizintechnikern. Sie sollten im Rahmen der interdisziplinären Projektwoche „Einführung in den Maschinenbau“ ein System für laparoskopische Operationen für den Einsatz in Entwicklungsländern entwickeln. Das Fazit: „Fächerübergreifend zu arbeiten ist eine Bereicherung.“
Ob ein entzündeter Appendix zu entfernen ist oder ein Leistenbruch zu schließen: Bei Operationen im Bauchraum ist in Deutschland heute die Laparoskopie, die sogenannte „Schlüsselloch-Chirurgie“, Standard. Dabei werden nur kleine Schnitte gesetzt, die nötigen Instrumente in den Körper eingeführt und von außen bedient und kontrolliert. Abgesehen von kosmetischen Aspekten hat diese Methode vor allem klare Vorteile bei der Wundheilung und reduziert das Risiko von Komplikationen. Ein Nachteil sind die hohen Kosten, so dass in strukturschwachen Ländern und Regionen der Welt laparoskopische Systeme selten zum Einsatz kommen. Kranke werden hier nach bestem Wissen und mit ärztlicher Kunst, aber eben nicht mit allen Möglichkeiten der modernen Medizin behandelt.
Hier setzte die Aufgabenstellung der diesjährigen Projektwoche „Einführung in den Maschinenbau“ (emb) an: In interdisziplinärer und erstmals auch interuniversitärer Zusammenarbeit sollten die Studierenden ein System für laparoskopische Operationen entwickeln – beispielhaft für den Einsatz in einem frei zu wählenden südostasiatischen Land –, das kostengünstig gebaut ist, innovativ und auf vor Ort verfügbaren, gern auch alltäglichen Komponenten und Materialien basiert.
Rentabilität, Nachhaltigkeit und die Möglichkeit der Ersatzteilbeschaffung spielten ebenso eine Rolle wie die medizinischen Rahmenbedingungen – Sterilisierbarkeit der Systeme und Handhabbarkeit für die Chirurginnen und Chirurgen, beispielswiese. Nicht zuletzt waren dafür auch die gesellschaftlichen Bedingungen vor Ort zu berücksichtigen und die Frage, wie es um die Akzeptanz der Methode bei Patienten und medizinischem Personal in den Zielländern steht.
Erstmals bekamen die TU-Studierenden – 318 aus dem Maschinenbau und 15 aus der Soziologie – Verstärkung von einer anderen Universität: 18 angehende Medizinerinnen und Mediziner der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz nahmen als Fachspezialistinnen und Fachspezialisten an der Projektwoche teil. „Die Gruppen haben die ganze Woche durch sehr konzentriert und intensiv gearbeitet“, sagt Professor Samuel Schabel, Fachbereich Maschinenbau, der die emb koordinierte. „Für viele Maschinenbau-Studierende war es erst einmal nicht offensichtlich, welche konkreten technischen Fragestellungen sich hinter der Aufgabenstellung verbergen. Beim tieferen Eintauchen in die Thematik hat sich aber schnell gezeigt, dass Medizintechnik ein sehr spannendes Feld für Ingenieurwissenschaften und für Medizin ist. Die Kommunikation zwischen den Disziplinen Maschinenbau, Medizin und Soziologie hat sehr gut funktioniert.“
"Als medizinischer Experte und Ansprechpartner für die Studierenden war ich begeistert von den vorgestellten Ideen“, freut sich Univ.-Prof. Dr. Oliver Muensterer, Projektleiter seitens der Universitätsmedizin Mainz und Direktor der Kinderchirurgie. „Meines Erachtens ist es für jede Wissenschaft, gleich welcher Disziplin, von Vorteil, den Blickwinkel interdisziplinär zu weiten. Das zu begreifen und zu lernen, die Inspirationen in die eigene Arbeit einfließen zu lassen, ist sowohl für die eigene Entwicklung als auch für die Forschung wichtig. Besonders interessant ist dabei die Kooperation von Ingenieuren und Medizinern, da gerade in der Chirurgie immer mehr Technik zum Einsatz kommt. Ich bin mir sicher, dass sowohl unsere Medizinstudierenden als auch die TU-Studierenden von dem Projekt profitieren.“
Die emb findet in Zusammenarbeit mit dem TU-Projekt KIVA (Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an) statt und gibt bereits zu Beginn einen Einblick ins künftige Berufsleben, das geprägt sein wird von Aufgaben, die mehr verlangen als das reine Fachwissen. Dass das Konzept aufging, zeigen Kommentare, die Studierende während der Projektwoche festhielten: „Man kann sich auch in Dinge einarbeiten, von denen man keine Ahnung hat.“ Und: „Fächerübergreifend zu arbeiten ist eine Bereicherung.“
Nicht in jeder Gruppe waren Studierende aus allen Disziplinen vertreten, aber ein gewisser Austausch und vor allem die Betreuung durch 22 Team-, 26 Fachbegleiter sowie zwölf Personen am Help-Desk sorgten jederzeit für die nötige fachlich Beratung – allerdings ohne Lösungen für die hoch komplexe Aufgabe vorzugeben. Das lag alleine bei den 40 Gruppen.
Den manchmal verschlungenen und turbulenten Weg – „vorgeprescht, jetzt wieder einen Schritt zurück“ – dokumentierten die Studierenden in Projektnotizen und Logbüchern, ihre Ergebnisse präsentierten sie in einem Bericht.
Eine Fachjury wählte dann gestern die drei Gruppen, die nicht nur das innovativste Konzept für ein Laparoskopiesystem vorlegten, sondern auch die überzeugendste Präsentation ihrer Ergebnisse ablieferten. Die betreuenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen waren mit den Leistungen und dem Projekt hoch zufrieden: „ In Summe ein sehr gut gelungenes Experiment der wirklich breiten interdisziplinären Zusammenarbeit“, bilanziert Samuel Schabel.
Silke Paradowski