Mit Mikrowellen Lebertumore erkennen und zerstören
Die TU Darmstadt und die Goethe-Universität Frankfurt haben einen Mikrowellen-Applikator entwickelt, der Lebertumore erkennt und zerstört. Als Nächstes steht die Suche nach Verwertungsoptionen auf dem Plan.
„Proof of Concept“ heißt im Englischen der Nachweis, dass sich eine skizzierte Idee tatsächlich realisieren lässt. Er ist eine wichtige Hürde auf dem Weg zu einer Neuheit. Einem interdisziplinären Team um Professor Dr.-Ing. Rolf Jakoby, Dr. Carolin Hessinger und Dr. Martin Schüßler vom Institut für Mikrowellentechnik und Photonik am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Darmstadt und Professor Dr. Dr. med. Thomas Vogl und seinen Mitarbeitenden der Universitätsklinik Frankfurt ist ein solcher Nachweis gelungen.
Die Forschenden haben einen nadelförmigen Mikrowellen-Applikator entwickelt, der bei niedriger Leistung zwischen gesundem Gewebe und Tumorgewebe unterscheidet und das Tumorgewebe bei hoher Leistung zerstört. In dieser dualen Funktion ist der Applikator eine echte Innovation auf dem Gebiet der Mikrowellenablation und möglicherweise eine vielversprechende minimalinvasive Alternative zur klassischen Entfernung eines Tumors durch eine Operation. Hinzu kommt ein weiteres Alleinstellungmerkmal: Der neuentwickelte Dual-Mode-Applikator funktioniert auch unter einer Magnetresonanztomografie (MRT), mit der sich die erfolgreiche Zerstörung der Lebertumore am besten beurteilen lässt.
Entartetes Gewebe besser erkennen
Beide Alleinstellungsmerkmale sorgen dafür, dass Ärztinnen und Ärzte entartetes Gewebe besser erkennen und den Applikator gezielter ausrichten und die Zerstörung der Lebertumore über die Sensorfunktion und die MRT in Echtzeit beobachten und steuern können.
Angesichts der wachsenden Zahl an Krebserkrankungen mit Lebermetastasen ist dies eine hochwillkommene Entwicklung. Die Forschung an dem neuen Applikator-Konzept erfolgte im Rahmen des deutschlandweiten ESSENCE-Programms und ist das Ergebnis jahrelanger, zäher Arbeit. „Wir mussten viele Fragen klären“, sagt Hessinger. „Mit welchen Frequenzen lässt sich der dielektrische Kontrast zwischen gesundem Gewebe und Tumorgewebe am besten abbilden? Wie wird dieser Prozess kalibriert? Welche Geometrie muss der Applikator haben, um am Ende auch über einen kleinen Zugang in die Leber eingeführt werden zu können? Und: Wie vermeidet man, dass Strom über den Schaft des Applikators in die falsche Richtung fließt und gesundes Gewebe schädigt?“
Das Team um die Professoren Jakoby und Vogl hat diese Fragen mit verschiedenen Applikator-Geometrien adressiert und seine Entwicklungen an künstlichen Phantomen getestet, die die gleichen dielektrischen Eigenschaften und Koagulationsparameter hatten wie Lebergewebe. Später hat das Team auch Versuche an Schweinelebern gemacht. Der finale präklinische Prototyp ist ein koaxialer Slot-Applikator mit einer Arbeitsfrequenz von 5,8 GHz.
Verwertungsoptionen prüfen
Im nächsten Schritt sollen verschiedene Verwertungsoptionen geprüft und der Nutzen des neuen Applikators weiter bestätigt werden. Dafür werden noch Industriepartner gesucht. Für eine klinische Prüfung müsste auch noch ein klinischer Prototyp nach den Regularien und Richtlinien eines neuen Medizinprodukts entwickelt werden. Bei der Suche nach Verwertungsoptionen wird das Team vom Dezernat für Forschung und Transfer der TU Darmstadt unterstützt. Es wurde auch schon eine Expertenbefragung gemacht, ein erster Kontakt zu einem interessierten Industrieunternehmen hergestellt und ein Projektmentor gewonnen, der das Team berät. Die Weichen für eine erfolgreiche Weiterentwicklung sind gestellt.
Drei Fragen an Professor Dr. Dr. med. Thomas Vogl
Der Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie an der Universitätsklinik Frankfurt ist zusammen mit seinen Mitarbeitenden Kooperationspartner bei der Entwicklung des neuen Dual-Mode-Applikators im Rahmen des Bereichs Medizintechnik von TU Darmstadt und Goethe-Universität Frankfurt.
Welche Patientinnen oder Patienten würden von dem Einsatz des Dual-Mode-Applikators profitieren?
Nach unseren bisherigen klinischen Erfahrungen würden vor allem Patientinnen und Patienten mit kleineren Tumoren und Tumoren in kritischen Bereichen der Leber von einem Dual-Mode-Applikator profitieren – also Kranke, deren Lebertumore 20 Millimeter oder kleiner sind oder in unmittelbarer Nähe von Blutgefäßen, Gallenwegen oder der Leberkapsel liegen, wobei Letzteres die derbe, bindegewebige Außenhülle der Leber ist.
Hat der neue Applikator das Potenzial, das Leben der Betroffenen zu verlängern und ihnen mehr Lebensqualität zu schenken?
Ja. Wenn der Dual-Mode-Applikator die Tumore bei der Behandlung tatsächlich zerstören würde, könnte daraus ein längeres Überleben resultieren. Letztlich wäre das ja auch das Ziel einer solchen Intervention: mehr Lebenszeit zu schenken. Wenn wir durch die minimalinvasive Nutzung des Applikators eine Operation vermeiden können, würde daraus vermutlich auch eine bessere Lebensqualität für die Betroffenen resultieren.
Wünschen Sie sich mehr Kooperationen dieser Art?
Bei dieser Kooperation kommen technische Exzellenz, klinische Erfahrung und wissenschaftliche Expertise aufs Beste zusammen. Das ist die Basis für medizinischen Fortschritt. Von solchen Kooperationen kann es nicht genug geben.
(Hildegard Kaulen)