„Ich bin eine sehr pessimistische Optimistin“

Nicole Deitelhoff ist eine der gefragtesten Friedens- und Konfliktforscherinnen der Republik und international. Die Alumna der TU Darmstadt ist Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnung im Exzellenzcluster „Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Frankfurter Goethe-Universität und geschäftsführende Direktorin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung, PRIF. In Darmstadt hat die 50-Jährige im Master Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften studiert und promoviert. Zur TU hat die renommierte Wissenschaftlerin ein ambivalentes Verhältnis: Die Uni hat sie geprägt und entscheidend inspiriert, doch zwischendrin gab es auch Krisen.

Professorin Nicole Deitelhoff

Bild: F.A.Z.-Foto / Lucas Bäuml

Nicole Deitelhoff macht so schnell nichts Angst. „Ich bin sehr robust“, sagt sie und lacht ihr fröhliches, ansteckendes Lachen. Als professionelle Friedens- und Konfliktforscherin kann sie beunruhigende Weltereignisse einordnen und analysieren. Der 24. Februar 2022 – Beginn des Ukraine-Krieges – war jedoch auch für sie ein schwieriger Tag. „Da wusste ich, dass meine drei Kinder anders aufwachsen werden als ich selbst.“ In einer Art zweitem Kalten Krieg und Bedrohung Europas. „Die nächsten Jahrzehnte wird Russland ein massives Sicherheitsrisiko darstellen.“

Die aktuelle Weltlage lässt sie auch als Profi nicht unberührt. Trump zurück im Weißen Haus, Milliardäre wie Elon Musk an der Macht, Putins Expansionskrieg, das Erstarken der Rechten in Europa und der AFD in Deutschland – es ist die Zunahme und Verknüpfung der Konflikte, die sie sorgt und der Mangel an Lösungsressourcen. „Momentan gibt eine besonders toxische Form männlicher Staatenlenker, die alle ähnlich rückwärtsgewandt, patriarchalisch und mit großer Machtfülle ausgestattet sind.“ Wie lässt sich dem begegnen, wo ansetzen, was muss sich ändern? Die TU-Alumna analysiert Muster und Trends der politischen Weltlage. „Es geht nicht nur um einzelne Konflikte, sondern grundsätzlich um Regeln und internationale Regelwerke“, so die Professorin. Akteuren wie Trump oder Putin lässt sich mit Regeln kaum beikommen. „Da hilft am Ende nur die Flucht in die Gemeinschaft; dass sich eine Mehrheit der Staaten in einer Gegenallianz zusammenschließt“, resümiert die Forscherin und verweist auf die Geschichte, in der sich immer wieder gezeigt habe, dass die Staatengemeinschaft sich gegen Aggressoren zusammenschließe, wenn es sein muss.

„Unsere Sichtweise ist meist schwarzweiß, aber die Welt ist bunter“

Momentan erlebt sie auch bei ihren Studierenden viel Angst, beispielsweise vor einem Nuklearschlag. Dem lassen sich Daten, Indikatoren und Analysen entgegensetzen, die die Situation für sie als Wissenschaftlerin berechenbarer machen. In ihrer Profession als Friedens- und Konfliktforscherin sieht sie sich mehr auf der Seite der Konfliktforschung, beschreibt sich als „sehr pessimistische Optimistin“. Was können wir aus Konflikten lernen, was an Veränderung anstoßen? „Unsere Sichtweise ist meist schwarzweiß, aber die Welt ist bunter.“ Viel sei in Bewegung. So sehe etwa der globale Süden derzeit keine Krise der Weltordnung, sondern dass er an Einfluss in der Weltpolitik gewinne. Der Westen sehe das natürlich anders, aber man könne es auch positiv werten – im Sinne einer Veränderung. „Jetzt geht es darum, etwa bei G20-Treffen neu zu gestalten, wie eine gemeinsame Welt aussehen kann“, findet Deitelhoff.

Eine wissenschaftliche Karriere war der erfolgreichen Forscherin nicht vorherbestimmt. Deitelhoff stammt aus Ostholstein. Ihre Eltern hatten in der Nähe von Eutin eine Dorfkneipe mit Kegelbahn. „Ich war früh wortgewandt und musste mich durchsetzen“, lacht sie. Daher stammt wohl auch ihre selbst beschriebene Robustheit und eine gewisse norddeutsche Sturheit, die sie oftmals in der Spur hält. „Ich probiere Dinge aus. Wenn es nicht klappt, fange ich neu an oder mache halt etwas anderes.“ Aufgeben gehört nicht dazu.

USA-Aufenthalt als Wendepunkt

Eigentlich wollte die Alumna Journalistin werden. Rechts-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften wählte sie als Studienfächer, weil sie zunächst dachte, das seien gute Grundlagen für die journalistische Arbeit. „Die Idee habe ich aber schon im Grundstudium abgehakt, weil ich gemerkt habe, dass mich die Fächer begeistern.“ Die Universität dagegen anfangs gar nicht. Deitelhoff hatte an der Frankfurter Goethe-Uni ihr Studium begonnen, „aber dort war ich unglücklich“. Zu groß, zu anonym für sie. Da sie in Darmstadt wohnte, erfuhr sie von der Möglichkeit, sich nachträglich an der TU zu immatrikulieren. Die Politikwissenschaft dort hatte einen guten Ruf, „ein herausragendes Institut mit Größen und Koryphäen des Faches“, betont sie. Darmstadt gefielt ihr auf Anhieb, kein Massenstudiengang, kleine Seminare, viel Struktur und eine gute Betreuung. „Das hat mich vor dem Studienabbruch gerettet“, so ihr Fazit. Hier kam Nicole Deitelhoff in Kontakt mit Klaus Dieter Wolf, Professor für Politikwissenschaft und Leiter des Arbeitsbereichs „Internationale Beziehungen“. Ihr Vorbild, Mentor und späterer Doktorvater.

Inspiriert haben sie aber auch Kollegen wie Gunther Hellmann, zunächst wissenschaftlicher Assistent an die TU, später Professor an der Goethe-Uni und in leitenden Positionen bei der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung sowie im Exzellenzcluster „Herausbildung normativer Ordnungen“ in Frankfurt, beides Wirkungsstätten heute auch von Nicole Deitelhoff. Im vierten Semester ihres Magister-Grundstudiums war er es, der sie auf ein Austauschprogramm mit der State University of New York in Buffalo aufmerksam machte und zu einem Auslandssemester anhielt. „Das war der Wendepunkt“, sagt die Professorin im Nachhinein. „In den USA wurde aus der kleinen Durchschnittsstudentin eine High Performerin.“ Dort gaben Lehrende extrem viel Feedback und Persönlichkeitsnoten. „Das hat was mit mir gemacht. Ich habe Feuer gefangen.“

Der Ehrgeiz war geweckt. Obwohl ihr in den USA ein Stipendium für eine Promotion angeboten wurden, wollte sie zurück nach Darmstadt. An der TU hätte sie aber zunächst einen zusätzlichen Masterabschluss machen sollen, der amerikanische Master reichte nicht. „Das wollte ich nicht“, sagt sie. Mit norddeutscher Sturheit verfolge sie ihr Ziel, arbeitet zunächst zwei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin für den damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Walter Hoffmann. Sie bewarb sich für ein Stipendium der Graduiertenförderung des Landes Hessen, das anschließend vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung weitergeführt wurde. „Damit konnte ich dann doch an der TU und bei Professor Wolf promovieren“, grinst sie.

„Ich weiß, wie man gut streitet“

Als 2008 eine neue Professur für Transnationale Politik an der TU Darmstadt ausgeschrieben wurde, bewarb sie sich und hier beginnt das eher ambivalente Verhältnis zu ihrer Alma Mater. Sie stand an erster Stelle des Auswahlverfahrens, doch es gab Widerstand im Senat, was aber wohl nicht in erster Linie mit ihrer Person zu tun hatte. „Das war unschön für mich.“ Darüber sprechen will sie eigentlich nicht mehr. „Es gab Konflikte, aber die muss man auch mal hinter sich lassen.“ Da ist sie ganz professionelle Friedens- und Konfliktforscherin und lacht. Ihrer Karriere schadete das nicht. Sie hatte Rufe an andere Universitäten, aber weil Frankfurt sie im Exzellenzcluster „Herausbildung normativer Ordnungen“ halten wollte, schuf die Goethe-Uni eine Professur für Nicole Deitelhoff.

Heute zählt sie zu den renommiertesten Größen ihres Faches, ist seit 2016 geschäftsführende Direktorin des Leibniz-Institutes für Friedens- und Konfliktforschung mit rund 100 Mitarbeitenden, leitet seit 2017 den Programmbereich „Internationale Institutionen“ und hat 2023 eine LOEWE-Spitzenprofessur des Landes Hessen erhalten. Sie lehrt, betreut Doktoranden:innen, forscht und schreibt aktuell an einem Buch über das Verhältnis von Ordnung und Konflikt. „Mein Beruf überrascht mich immer wieder aufs Neue“, freut sie sich. Die TU Darmstadt habe Anteil daran. „Sie hat mir eine solide Grundausbildung mitgegeben und Persönlichkeiten an meine Seite gestellt, die mich geprägt, motiviert und mir geholfen haben, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das ist Verdienst der TU.“

Privat ist Nicole Deitelhoff mit dem Politikwissenschaftler Christopher Daase verheiratet und hat drei Kinder. Daase ist ebenfalls Professor an der Goethe-Uni und Direktoriumsmitglied des Leibniz-Institutes für Friedens- und Konfliktforschung. Gibt es da überhaupt einen Feierabend? „Wir sprechen über Politik, aber nie über die Arbeit“, betont sie. Und wenn‘s mal kracht? „Ich weiß, wie man gut streitet“, sagt sie und lacht wieder herzhaft.

Gemeinsame Friedensforschung

Die Wissenschaftler:innen der TU Darmstadt und die Arbeitsbereiche von Nicole Deitelhoff haben verschiedene enge Berührungspunkte. So sind TU und das PRIF – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung institutionell miteinander verbunden. Im vergangenen Jahr wurde eine gemeinsame Professur für naturwissenschaftliche Friedensforschung eingerichtet, die mit Malte Göttsche besetzt wurde. Zudem wird derzeit eine weitere Professur „Friedens- und Konfliktforschung: Transnationale Akteure" eingerichtet. Den Ruf hat Tobias Ide angenommen. Mit den beiden Professuren setzt die TU Darmstadt ihre besondere Tradition der profilierten natur- und ingenieurwissenschaftlichen Friedensforschung fort.

Im Rahmen der Rhein-Main-Universitäten gibt es Kooperationen beim RMU-Master-Studiengang Internationale Studien/Friedens- und Konfliktforschung.

Zusammenarbeit findet darüber hinaus am Exzellenzcluster „Herausbildung normativer Ordnungen“ statt, dessen Sprecherin Deitelhoff ist. An diesem Cluster ist unter anderem auch die TU Darmstadt beteiligt.

Text: Astrid Ludwig

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